Leseprobe

Silke M. Zacharias: Eine Walfangreise auf der Walter Rau 1938/39
Taschenbuch, 16,90 €, 160 Seiten, 138 Abbildungen

6. Oktober 1938

Am 26. September 1938 musterte ich auf dem Walfangschiff „Walter Rau“ an. Es ist die zweite Fahrt, die Walter Rau mit seinem Schiff samt den Fangbooten unternehmen lässt. Ich hoffe, dass ich genug Geld für die Seemannsschule verdienen kann! Das hängt davon ab, wie viele Wale wir fangen werden.

Für die 7 Monate lange Reise wurde das Schiff vom 26. September bis zum 8. Oktober ausgerüstet, zwei Tage später soll es losgehen.


10. Oktober 1938

Der 9. Oktober war ein Sonntag, an dem ich die letzten Vorbereitungen zur Reise erledigte. Ich packte die nötigen Sachen zusammen, viel ist es nicht, was ich mitnehmen darf. Warme Wäsche, das ist das Wichtigste.

Abends müssen wir dann alle an Bord sein.

Heute fuhren wir dann los. Am Morgen um 7:00 Uhr ging das große Abschiednehmen los. Grete und Oma Meyer standen mit all den anderen Frauen und Kindern zusammen.

Für die meisten war es eine schwere Stunde, auch für mich. Bei Brunshausen wurde noch Pulver für die Fangboote geladen. Um 18:30 Uhr erreichten wir dann Elbe 1, wo wir den Elblotsen Paul Külper, der uns von Hamburg bis hier geführt hat, von Bord ließen. Wir wünschten uns noch gegenseitig „Lebewohl“ und dann ging es hinein in die weite See.

Nun sitze ich hier in der Kombüse und habe vor, täglich Einträge zu machen, um mich immer an diese Fahrt und an diese Zeit zu erinnern.

Am 12. Oktober

kam ich morgens an Deck. Es bot sich mir eine wunderschöne Aussicht: an der Steuerbordseite hatten wir die Kreideküste von England vor uns. Die Sonne schien so wunderbar darauf, dass es wirklich romantisch wirkte. Gegen Mittag kam die französische Küste in Sicht, die wir dann den ganzen Nachmittag an Backbordseite hatten.

Steuerbord:      in Fahrtrichtung rechts, Farbe: GrünBackbord:         in Fahrtrichtung links, Farbe: Rot

Abends passierten wir dann Ouessant und waren damit in der Biskaya. Die Arbeit an Deck war heute etwas anders. Man vermutet offenbar in mir einen großen Zimmermann, denn ich musste mit dem ersten Zimmermann einen Schweinestall bauen. Es ist eine angenehme Arbeit, aber natürlich ist der Stall heute noch nicht fertig geworden.

Die Abende waren bis jetzt noch nicht langweilig. Es wird immer fleißig Harmonika geübt. Unsere Bude ist immer voll, denn „böse Menschen haben keine Lieder.“ Also sind es alle lustige Menschen.

Jetzt ist es 20:00 Uhr. Ich mache noch einen Törn längs Deck und gehe dann zu Bett.

13. November

Zum ersten Male habe ich mich richtig zu meinem Federbett gefreut. Es ist plötzlich recht kalt geworden. Alle sind aufgewacht vor Kälte, bloß ich nicht.

Das Wetter ist wieder ganz herrlich, der Wind ganz abgeflaut. Es ist Sonntag heute, und alles ging gemütlich an Deck spazieren. Der Lautsprecher schallte längs Deck „Meine Mutter’l war ne Wienerin“.

Ich gehe früh ins Bett.

14. November

Heute musste mein Isländer sein Bestes tun. Es war kalt an Deck. Am Vormittag bekamen wir einen Eisberg in Sicht. Es war der Erste, den ich in meinem Leben gesehen habe und er wurde auch dementsprechend bewundert.

Die Fangboote sind alle außer Sicht, denn sie suchen Wale. Nachmittags sollten wir noch mehr zu sehen bekommen: so gegen 15:00 Uhr fuhren wir mit einem Male mitten im Treibeis. Darauf machten Pinguine und Robben es sich gemütlich. Eisberge sahen wir nun haufenweise: große, allmächtige. Es war ein herrlicher Anblick.

Um 21:00 wurde unsere Maschine plötzlich gestoppt. Als wir an Deck kamen, sahen wir, dass die „Walter Rau“ sich gemütlich im Eise hingelegt hatte. Alle Fangboote sind wieder bei uns. Das ist wohl ein Zeichen, dass hier Wale sein werden und morgen das Fangen losgeht. Ich habe bisher noch keinen einzigen Wal gesehen, obwohl wir uns jetzt im Eismeer befinden.

19. Dezember

Wir sind heute auf unserem neuen Fangplatz angelangt. 3 Wale wurden schon gebracht. Hoffentlich werden es hier mehr, sonst werden wir bald missmutig. Es wird nämlich schon allerhand zusammen gesponnen. Schließlich werden wir nach der Fangmenge bezahlt.

Es sind tatsächlich viele Wale gekommen. 20 Stück, alles schöne große.

 20. Dezember

Ich musste heute Nacht Fleisch ziehen, weil einer krank wurde. Es war eine anstrengende Arbeit. Der Kranke hat jetzt meinen Posten. Wie lange, weiß ich nicht. Es wurden noch keine Wale gebracht.

21. Dezember

An Deck müssen wir tüchtig arbeiten. Da weht natürlich ein anderer Wind wie auf der Brücke. Heute wurde kein Wal mehr geschossen, so dass die Tagesschicht den Rest weggearbeitet hat.

22. Dezember

Heute Nacht wurde ein Wal gebracht. Der war natürlich schnell erledigt, und wir machten im Kabelgatt Schiffsarbeit. Morgens fuhren wir dicht an den Sandwich-Inseln vorbei. Es ist eine unbewohnte Inselgruppe mit einigen schneebedeckten Bergen.

27. Dezember

Heute Nacht wurde es wieder kälter. Und der Schnee blieb auch nicht aus. Am Abend brachten die Fangboote 11 Wale und wir rüsteten die Boote wieder mit Harpunen aus.